Her mit den scharfen Kanten!

Das Brechtfestival Augsburg feierte vom 10. bis 19. Februar 125 Jahre Brecht.

Was ist das Erbe des vor 125 Jahren in Augsburg geborenen Dichters Bertolt Brecht? Wie
zeigt es sich? Wer lebt es? Ist es nützlich? Julian Warners erstes Brechtfestival erforschte
dies zehn Tage lange intensiv und tauchte ein in „Brecht’sche Welten“ – zum Beispiel auf
dem Tanzboden eines Trachtenvereins, in der Sauna, im Wrestling-Ring, an einem
Webstuhl oder unter einem Teppich.

„Brecht’s People“ lautete das Motto – und sie waren da: Leute aller Art, viele davon
wahrscheinlich zum ersten Mal beim Brechtfestival, fühlten sich angesprochen, schauten
zu, machten mit und lernten sich kennen. Zum Beispiel im Saalbau Krone im Stadtteil
Lechhausen. Das Vereinsheim des Oberbayrischen Volkstrachtenvereins war ein
beliebter Fixpunkt, diente als Festivalzentrale, Mittagstisch und Veranstaltungsort.
Ebenso der Saal der Alevitischen Gemeinde, in dem das Festival viele Abende zu Gast
war.
„Das Brechtfestival hat durch die besondere Gastfreundschaft der Alevitischen
Gemeinde und des Trachtenvereins im Saalbau Krone dieses Jahr eine neue Heimstatt
bekommen. Auch dieser Gastfreundschaft ist es zu verdanken, dass das Brechtfestival
die ganze Vielfalt kultureller Zugänge unserer Stadt abbildet.“, so Jürgen K. Enninger,
Kultur-, Sport- und Welterbereferent der Stadt Augsburg. „Mein ganz besonderer Dank
gilt dem Festivalleiter Julian Warner, seinem Team, sowie dem Brechtbüro der Stadt
Augsburg, aber auch den unterschiedlichsten Initiativen, die sich mit so großer
Begeisterung des Themas 125 Jahre Brecht angenommen haben. Kultur ist der Puls einer
Stadt. So kraftvoll und energetisch war er bisher selten zu spüren!“, so Jürgen K.
Enninger weiter.

Das durch Beiträge u.a. im ZDF, bei 3Sat, ARTE, Deutschlandfunk und der FAZ auch
überregional wahrgenommene Programm umfasste 31 gut bis sehr gut besuchte
Einzelveranstaltungen an denen etwa 400 Künstlerinnen und Künstler beteiligt waren.

Unterschiedliche Standpunkte als zentrales künstlerisches Motiv


Das Ringen um unterschiedliche Standpunkte, das Aushalten der Widersprüche, war ein
zentrales Motiv im Brechtfestival. „Zusammenleben in der Stadt heißt
Aufeinandertreffen, verschiedene Interessen, heißt Reibung, heißt Konflikt! Und nur im
Raum des Streits können die Ausgegrenzten gegen das Unrecht protestieren. Deshalb
sagen wir: Her mit den scharfen Kanten! Her mit dem Gebell und dem Geheul!
Her mit den rauen Oberflächen, der Wut, dem Widerspruch, dem Dissens und der
Uneinigkeit!“, rief die Saalsprecherin (Hanna Binder) in der Wrestlingshow „Kampf um
Augsburg“ dem Publikum so treffend zu.

Nicht nur künstlerisch, durch Diskurse, mit Tanz, Humor und partizipativen Projekten,
sondern auch durch „kollektives Erinnern“ wendete sich das Brechtfestival
gesellschaftlichen Konfliktlinien zu: Der Abschluss am 19. Februar war mit der
Veranstaltung „Say Their Names“ in der Brechtbühne des Staatstheaters dem Gedenken
an die Opfer der rassistischen Morde in Hanau vor genau 3 Jahren an diesem Tag
gewidmet.
„Wir haben gemeinsam gewebt, getanzt, gelauscht, diskutiert, musiziert, gekämpft,
paradiert, reflektiert, geschwitzt, gelacht und geweint. Zehn Tage lang haben wir die
Brecht‘sche Welt erforscht. Und wir fanden die Zukunft des dialektischen Theaters nicht
auf der Guckkastenbühne, sondern in selbstorganisierten Kulturräumen in Lechhausen.
Der Anfang ist gemacht. Und mein Team und ich haben Lust auf mehr. Auf nach
Augsburg-Oberhausen!“, erklärt der Künstlerische Leiter des Brechtfestivals, Julian
Warner.

Langfristige Prozesse sind angestoßen

Einige der im Festival angestoßenen Prozesse laufen bis 2025 weiter, also die gesamten
drei Jahre, in denen Julian Warner die Künstlerische Festivalleitung innehat. Zum Beispiel
die „anwachsende“ Ausstellung im Brechthaus „The History of Brecht’s People“. Auch
das Demokratieexperiment der Organismenrepublik Augsburg hat gerade erst begonnen
und läuft auch zwischen den Festivals weiter (Interessierte wenden sich an
info@clubreal.de).

Das Brechtfestival 2024 findet vom 23. Februar bis 3. März statt.

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